Ausgabe 1 | 2021
?3GPP ist die einzige Organisation, die Spezifikationen für 5G festlegt“
Ein Gespr?ch mit Lionel Morand, Vorsitzender der Gruppe technischer Spezifikationen für Kernnetze und Terminals beim 3GPP und Senior Architect bei Orange Labs Networks, über die Wichtigkeit von Standardisierungen in der Mobiltechnik.
Das Third Generation Partnership Project, kurz 3GPP, wurde von fünf nationalen und regionalen Standardisierungsorganisationen ins Leben gerufen: ARIB, Japan; ATIS, Nordamerika; ETSI, Europa; TTA, Südkorea; TTC, Japan. Der ursprüngliche Auftrag des 3GPP bestand darin, gemeinsame Spezifikationen für einerseits UMTS, das Universal Mobile Telecommunications System, ein Mobilfunksystem der dritten Generation auf Basis von weiterentwickelten GMS-Kernnetzen, und andererseits für die neue Funkzugangstechnologie, das sogenannte universelle erdgebundene Radio-Zugangsnetz, UTRA für Universal Terrestrial Radio Access, zu erstellen.
Seither sind dem 3GPP zwei weitere Standardisierungsorganisationen beigetreten: CCSA, China, und TSDSI, Indien. Der Arbeitsumfang wurde zun?chst um die Entwicklung der vierten Mobilfunkgeneration, also LTE, LTE-Advanced (4G), LTE Advanced Pro (4G +), und schlie?lich der fünften Generation erweitert.
Die 3GPP-Organisationspartner arbeiten viel mit Marktpartnern zusammen. Dies sind anerkannte Organisationen wie z.B. die weltweite Industrievereinigung der GSM-Mobilfunkanbieter, die in das 3GPP viel Know-how zu den Anforderungen wie Dienste, Eigenschaften und Funktiona-lit?t im Mobilfunkmarkt einbringen. Allerdings sind die Marktpartner nicht befugt, im Zuge dieser Zusammenarbeit auf nationaler oder regionaler Ebene Standards festzulegen oder zu ver?ffentlichen.
Die Spezifikationsarbeit des 3GPP wird in Gruppen für technische Spezifikationen geleistet, die wiederum in Arbeitsgruppen unterteilt sind. Die Standardisierungsarbeit der 3GPP-Organisationspartner basiert auf Beitr?gen von Unternehmen, die sich als Einzelmitglieder bei einer der Organisationspartner beteiligen. 3GPP besteht heute aus etwa 700 Einzelmitgliedern.
Die Arbeitsgruppen halten mehrere Sitzungen pro Jahr ab. Hier werden Beitr?ge von Einzelmitgliedern diskutiert und k?nnen als Beschluss aus der Sitzung hervorgehen. Die Gruppen für technische Spezifikationen halten viertelj?hrlich Plenarsitzungen ab. Sie k?nnen die auf Arbeitsgruppenebene vereinbarten Beitr?ge formell ?genehmigen“. Die genehmigten Beitr?ge werden in die Spezifikationen übernommen, und eine aktualisierte Version der Spezifikationen wird ver?ffentlicht.
Entscheidungen basieren auf Konsens: Ein Beschluss wird auf der Grundlage einer einvernehmlichen Entscheidung der Einzelmitglieder gefasst und genehmigt. Im Falle einer Abstimmung ist eine Mehrheit von 71 Prozent für einen Beschluss erforderlich. Andernfalls wird der Vorschlag abgelehnt.
3GPP folgt einer dreistufigen Methodik:
Die 3GPP-Spezifikationen sind in Releases, deutsch: Ver?ffentlichungen, gebündelt, wobei jedes Release einen einheitlichen Satz Funktionalit?ten für Mobilfunksysteme enth?lt. Jedes Release erh?lt einen verbindlichen Zeitrahmen durch Festlegung eines Sperrdatums. An dem Termin werden die Spezifikationen quasi eingefroren, und es ist nicht mehr m?glich, sie zu ver?ndern, au?er für notwendige Korrekturen. Die ver?ffentlichten und eingefrorenen Spezifikationen werden dann von den sieben regionalen Operationspartnern in Standards umgesetzt. Das 3GPP selbst produziert also keine Standards, sondern legt nur die technischen Spezifikationen dafür fest.
Die Standardisierung zielt per Definition darauf ab, die Einheitlichkeit bestimmter Vorgehensweisen innerhalb der Branche sicherzustellen. Eine Vielzahl von Unternehmen im Bereich der Mobilkommunikation – Betreiber, Endger?tehersteller, Anbieter von Netzinfrastrukturen, Dienstleistungsan-bieter, vertikale Branche und andere –
sind bestrebt, durch die Entwicklung allgemeiner Technologiestandards neuen Dienstleistungsanforderungen gerecht zu werden. Hierdurch werden die globale Interoperabilit?t zwischen den Ger?ten und die weltweite Interkonnektivit?t zwischen den Netzen gew?hrleistet. Davon profitieren alle in der Branche sowie letztlich auch die Endnutzer.
Ich erkl?re dies gern anhand eines einfachen Beispiels: 2020 waren weltweit immer noch mehr als 15 verschiedene Arten von Haushaltssteckern in Gebrauch, und viele Menschen, die ins Ausland reisen, müssen erleben, welche Probleme eine fehlende Standardisierung verursachen kann. Ohne Standards in der Mobilkommunikationsbranche w?re es nicht m?glich, eine Interoperabilit?t zwischen Produkten in gro?em Ma?stab sicherzustellen. Sind Unternehmen und Nutzer gezwungen, Produkten oder Diensten blind zu vertrauen, da diese Produkte nur ein einziger Anbieter oder Dienstleister zur Verfügung stellt, werden die Nutzer eingeschr?nkt, abh?ngig und sind somit verwundbar.
Standards festzulegen reicht -jedoch nicht aus, um eine breite Interoperabilit?t zwischen mobilen Netzwerken zu gew?hrleisten. Diese Standards müssen von der Industrie auch breitfl?chig übernommen werden. Bei den frühen Generationen von Mobilfunknetzen (1G, 2G) war der Geltungsbereich der Standards national oder regional, etwa Europa, Nordamerika, Japan, und somit die Interoperabilit?t geografisch beschr?nkt. Die Anbieter mussten Mobiltelefone, Netzwerkger?te und Dienstleistungen speziell für einen bestimmten Markt entwickeln, wodurch sich die Gesamtinvestitionskosten für die Anbieter sowie die Bereitstellungskosten für die Betreiber erh?hten. Für die Endnutzer war globales Roaming nur durch den Besitz von Multiband-/Multimodus-Telefonen – oder deren Anmietung auf Reisen – m?glich, die im Vergleich zu anderen Endger?ten oft sehr teuer waren. Die durch konkurrierende Standards verursachten Probleme setzten sich mit der Entwicklung von 3G fort, wurden aber mit 4G gel?st.
2G gilt als Nachfolger der analogen Netze der ersten Generation und wurde in den Neunzigerjahren eingeführt. Mit dem Mobilfunknetz war erstmalig, wenn auch sehr langsam, eine digitale Datenübertragung m?glich. Ein Beispiel: Für den Download eines 5?MB gro?en Fotos ben?tigte man damals rund 1 Stunde und 14 Minuten. 2G basiert auf dem GSM-Standard (Global System for Mobile Communications), der 1992 eingeführt wurde, und gilt noch immer als der am weitesten -verbreitete Mobilfunkstandard. Er wurde in Europa entwickelt. Heute wird GSM noch zur Telefonie und zum Versenden von SMS genutzt.
Mit Einführung von 3G, dem UMTS-Netz, begann die ?ra des mobilen Internets. Das Universal Mobile Telecommuni-cations -System wurde ursprünglich vom ETSI (Europ?isches Institut für Telekommunikationsnormen) standardisiert. Heute wird es st?ndig von 3GPP -erweitert. Die Lizenzen in Deutschland wurden 2000 erstmals ver-steigert. Weltweit nutzen 720 Millionen Menschen 3G. Es erm?glicht das gleich-zeitige Senden und Empfangen von Datenstr?men bis zu 2 Mbits/s. In den USA basiert 3G auf dem -Standard CDMA2000, in China auf TD-SCDMA. Mit 3G dauert das Herunterladen einer 5 MB gro?en Bilddatei nur noch 5 Sekunden.
Die vierte Generation des Mobilfunks wurde 2009 erstmals in Schweden und Norwegen in Betrieb genommen, in Deutschland 2010. Long Term Evolution ist der erste globale mobile Breitbandstandard, weltweit wird er von rund sechs Milliarden Menschen genutzt. 4G basiert auf der UMTS-Infrastruktur, deren technische Rahmenbedingungen vom 3GPP festgelegt werden. Allerdings gelten für unterschiedliche Ger?tekategorien unterschiedliche LTE-Stufen.
Mehr als nur ein neuer Mobilfunkstandard: 5G ist 100-mal schneller als die Vorg?ngergeneration und übertr?gt Unmengen an -Daten fast in Echtzeit, und das alles bei maximaler Zuverl?ssigkeit und Sicherheit. Gleichzeitig k?nnen viel mehr Ger?te mit einer Funkzelle verbunden sein (bis zu einer Million Endger?te/km2). Damit l?utet die Einführung von 5G eine neue digitale ?ra ein. 5G erm?glicht folgenreiche Innovationen wie autonomes Fahren, Telemedizin, umfassende Vernetzung und Steuerung von Produktionsanlagen, intelligente Wartung, Smart-City-Anwendungen und weitere neue Gesch?fts-und Servicemodelle. Das Ausma? der M?glichkeiten, die 5G bieten wird, ist noch nicht einmal von Fachleuten absch?tzbar.
Je nach Funktionsumfang kann alle 15 bis 24 Monate ein neues Release herausgegeben werden. Ein Release, mit dem ein v?llig neues Mobilfunksystem, zum Beispiel 5G, eingeführt wird, nimmt mehr Zeit in Anspruch als eines, das haupts?chlich eine Verbesserung bestehender Funktionen bietet.
Die Hersteller sind stark in die Arbeit des 3GPP eingebunden. Sie kennen die Bedürfnisse der Betreiber sowie den Dienstleistungsbedarf und k?nnen L?sungen vorschlagen, die diese Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus sind sie in der Lage, neue Technologien zu empfehlen, die vom 3GPP übernommen werden k?nnen. Indem sie aktiv zum 3GPP beitragen, k?nnen die Anbieter auf die Einführung technischer L?sungen dr?ngen, die ihrer eigenen Forschungs- und Entwicklungsarbeit entstammen. Ebenso k?nnen sie ihre Einführungen st?ndig aktualisieren, um die Arbeitsfortschritte des 3GPP nachzuvollziehen und ihre Produkte kurz nach dem Sperrdatum eines Releases schon auf entwicklungsreifem Stand zu haben.
Eines der Hauptziele der 3GPP-Arbeit ist es, die Nutzung durch Bereitstellung einer schnelleren und m?glichst nahtlosen Verbindung sowie einer h?heren Bandbreite zu verbessern.
Die 3GPP-Arbeit ist von den Beitr?gen abh?ngig, die von Einzelmitgliedern eingereicht werden. Jede neue 3GPP-Arbeitsaktivit?t muss von der Gruppe der technischen Spezifikationen einvernehmlich beschlossen werden. Die Genehmigung ma?geblicher Funktionen l?st in der Regel eine oder mehrere Machbarkeitsstudien aus, mithilfe derer zahlreiche Technologieoptionen bzw. -l?sungen auf Grundlage der technischen Beitr?ge von 3GPP-Einzelmitgliedern abgew?gt werden. Das Ergebnis der Studie ist ein Bericht, ein Technical Report, der die vereinbarten Konzepte aus der Durchführbarkeitsstudie im Einzelnen darlegt. Sobald die Durchführbarkeitsstudie abgeschlossen und der technische Report freigegeben ist, kann die Genehmigung der entsprechenden Arbeitsaufgaben erfolgen. Dann beginnt die Entwicklungsarbeit an den Details der Funktionsimplementierung auf der Grundlage der Studienergebnisse. Daraus k?nnen sich weitere technische Beitr?ge von 3GPP-Mitgliedern ergeben, was wiederum zur Erstellung neuer Spezifikationen oder zur Aktualisierung bestehender Spezifikationen führt.
3GPP wurde ins Leben gerufen, um ein 3G-Mobilfunksystem zu schaffen, das auf weiterentwickelten GSM-Kernnetzen und den neuen Funkzugangstechnolo-gien basiert. Zur selben Zeit bildete sich in den USA eine weitere Gruppe, das Third Generation Partnership Project 2 (3GPP2), mit dem Ziel, globale Spezifikationen für 3G-Systeme auf Grundlage der Weiterentwicklung von 2G IS-95 CDMA-Standards zu erarbeiten. Selbst wenn sich 3GPP und 3GPP2 bei der Nutzung der CDMA-Technologie für die Funkzugangstechnologie ann?hern würden, g?be es immer noch Unterschiede zwischen den beiden konkurrierenden Systemen. Beide wurden von der Internationalen Fernmeldeunion ITU, der International Telecommunication Union, als 3G-Standards anerkannt und sind weltweit im Einsatz. Als um 2005 der Bedarf nach einem Internetzugang aufkam, der schneller als der für die 3G-Systeme sein sollte, wurde mit der Arbeit an 4G-Standards begonnen.
Drei konkurrierende Normungsgremien arbeiteten an potenziellen L?sungen für 4G:
3GPP arbeitet aktiv daran, weitere Organisationen aus anderen Teilen der Welt wie Russland, Australien, Afrika, Südamerika oder dem Nahen Osten als Partner zu gewinnen. Die vorgenannten Regionen fehlen jedoch im
3GPP nicht v?llig: Sie sind vertreten durch Einzelmitglieder bestehender Organisationspartner und k?nnen 3GPP-Anforderungen und Anwendungsf?lle einbringen, die für die einzelnen Regionen spezifisch sind.
3GPP bringt eine Reihe von technischen Empfehlungen für Mobilfunksysteme hervor. Dies stellt die Interoperabilit?t zwischen Produkten sicher, wenn die 3GPP-Spezifikationen umgesetzt werden. Allerdings hat 3GPP keine M?glichkeit, die korrekte Umsetzung der Spezifikationen durchzusetzen. Für die praktische Umsetzung spielen die Betreiber eine wichtige Rolle: Sie prüfen die von den Anbietern entwickelten L?sungen und verlangen in der Regel einen Status für die Konformit?t mit den 3GPP-Spezifikationen.
3GPP-Spezifikationen sind ?ffentlich verfügbar. Es besteht keine Verpflichtung, dem 3GPP anzugeh?ren, um sie umzusetzen. Um sie ver?ndern zu k?nnen, ist es jedoch erforderlich, ein Einzelmitglied zu sein.
2G wurde von verschiedenen regionalen Standardisierungsorganisationen definiert:
Seit mehreren Jahren bemühen sich die europ?ischen Regierungen um eine st?rkere Kontrolle der 3GPP-Standardisierungsarbeit. Die 3GPP-Arbeit wird bisher im Wesentlichen von der Industrie vorangetrieben, mehr und mehr spielen nun jedoch auch die europ?ischen Regierungen eine entscheidende Rolle. Der zunehmende Austausch mit Regierungsvertretern wird für das 3GPP noch mehr Relevanz bedeuten. Um direkt Einfluss zu nehmen und europ?ische Werte und Prinzipien zum Beispiel in den Bereichen Datenschutz und Cybersicherheit zu f?rdern, haben Regierungen die M?glichkeit, sich am 3GPP aktiv zu beteiligen.
In den kommenden Jahren sind die folgenden Entwicklungen absehbar:
//www.17kws.cn/de/deu/magazin/digitale-infrastruktur/interview
//www.17kws.cn/de/deu/magazin/digitale-infrastruktur/infrastruktur-der-zukunft
//www.17kws.cn/de/deu/magazin/digitale-infrastruktur/digitalisierung-als-krisenmanager